Deutschland wird immer älter. Lag das Durchschnittsalter 1990 noch bei 39 Jahren, liegt es heute bei 45 Jahren. In den kommenden Jahrzehnten wird Deutschland zu einer zunehmend alternden Gesellschaft. Die Gründe sind vielschichtig, liegen etwa in der steigenden Lebenserwartung, die dem medizinischen Fortschritt und gestiegenem Gesundheitsbewusstsein liegen. Aber auch der Geburtenrückgang trägt seinen Teil dazu bei. Dieser liegt bei knapp 7 % pro Jahr. Dass dies die Nation vor volkswirtschaftliche Herausforderungen stellt – Stichwort: Renten oder Generationenvertrag – ist bekannt. Noch gravierender ist aber eine andere Herausforderung, die weitaus gravierender ist. Die Personalknappheit im Gesundheitswesen. Denn die alternde Bevölkerung führt zu einem erhöhten Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen, die schon heute an der Grenze des Machbaren scheinen. Überfüllte Wartezimmer, unbesetzte Stationen in Kliniken und fehlendes Personal sind längst keine Seltenheit mehr. Aber wie genau kam es eigentlich zu dieser Personalnot in Kliniken und Praxis und wie lässt sich der Trend umkehren?
Medizin: Personalknappheit und Pflegenotstand bedrohen die Versorgung
In den letzten 30 Jahren hat sich die Situation im medizinischen Sektor in Deutschland weiter verschärft. Der demografische Wandel hat zugenommen, während gleichzeitig die Ausbildungskapazitäten nicht ausreichend erweitert wurden, um den steigenden Bedarf zu decken. So herrscht seit einigen Jahren bereits ein Ungleichgewicht: Immer mehr Pflegebedürftige müssen von immer weniger Pflegekräften betreut werden. Es herrscht Pflegekräftemangel. Die geburtenstarken Jahrgänge, von denen aktuell viele in der Pflege beschäftigt sind, werden ab 2030 in Rente gehen. Das verschärft den Pflegenotstand noch stärker. Für das Jahr 2035 wird ein Bedarf von knapp 500.000 Pflegekräften prognostiziert.
Ärztemangel und Praxissterben: Eine wachsende Herausforderung
Die Personalknappheit im Gesundheitswesen zeigt sich aber nicht nur in der Pflege, auch bei den Ärzten ist die Situation dabei, sich zu verschärfen. Mehr als 80.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sind mindestens 60 Jahre alt. Das Durchschnittsalter beträgt 58 Jahre. Demgegenüber stehen aber „nur“ knapp 12.000 Studienanfänger pro Jahr. Deutlich zu wenig, wie Experten sagen und prognostizieren eine Lücke von knapp 33 % – pro Jahr. Bereits jetzt sinkt die Zahl der Praxen in Deutschland kontinuierlich, gerade auf dem Land werden die Wege zunehmend weit. Und das ist schwierig, wenn man ein stolzes Alter erreicht und die Fahrtüchtigkeit eingebüßt hat. Der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, oder in Deutschland eher die Ermangelung dessen, verschärfen das Problem. Und der Grund dafür liegt nicht nur an der fehlenden Zahl an Ärzten selbst, auch das Personal, etwa Medizinische Fachangestellte (MFA), werden zunehmend rar.
Dem Personalmangel in der Praxis mit finanziellen Mitteln bekämpfen
Die Gründe sind vielschichtig und zum Teil hausgemacht. Natürlich ist einer der größten Hebel die finanzielle Entlohnung. Die ist bei Ärzten zwar entsprechend gegeben, bei anderen Berufsgruppen aber nicht, was den Personalmangel in der Praxis befeuert. Die unzureichende Entlohnung war und ist eines der Hauptargumente für den Exodus und das Ausbleiben an qualifiziertem Personal. Dem versuchen die Politik und Verbände und gegenzusteuern. Eine Anpassung von 7,4 % im Mittel und 22 % für Berufseinsteiger ab 1. März 2024 ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Geld allein reicht nicht
Aber nicht allein niedrige Löhne seien der Grund für diese Unzufriedenheit und dem damit einhergehenden bedrohlichen Fachkräftemangel in den Arztpraxen. Hohe Arbeitsbelastung und übermäßige Bürokratie kosten, wie so oft in Deutschland, Zeit und erhöhen den Druck auf die Mitarbeiter. Zudem kommt noch der Faktor der mangelnden Wertschätzung. Vor allem in der Pandemie, als anderen sozialen, systemkritischen Berufen wie etwa Pflegekräften zurecht großer Dank und Unterstützung zukam – etwa in Form des Coronabonus – seien die MFA leer ausgegangen. Und wer einmal beim Arzt ist, kommt nicht umher, ein negatives Bild vom Umgang vieler Patienten mit dem Praxisteam zu zeichnen. Aufgrund überfüllter Wartezimmer und langer Wartezeiten auf einen Termin ist der Frust nachvollziehbar, aber keine Entschuldigung dafür, das Personal als Ventil zu nutzen.
Den Pflegenotstand nachhaltig entschärfen
Aber auch in der Pflege ist mangelnde Wertschätzung ein Thema. Während der Pandemie schienen Pfleger plötzlich ungemein wichtig, heute ist die Zeit der Wertschätzung wieder vorbei. Auch hier würde eine Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung einiges verbessern. Dennoch scheitert es unterm Strich aber auch in der Pflege am Geld. Die Entlohnung steht in keinem Verhältnis zur Arbeit. Es ist daher notwendig, in der Zukunft ein nachhaltig finanzierbares System zu schaffen. Nur so kann nicht nur die aktuelle, sondern auch die zukünftige Generation von einer zuverlässigen Pflege profitieren. Ein mögliches Beispiel könnten andere Länder sein, etwa in vielen skandinavischen Ländern. Dort wird beispielsweise die Pflege vollständig steuerfinanziert. Damit lassen sich höhere Ausgaben und deutlich bessere Bedingungen realisieren. Darüber hinaus wünschen sich Angestellte in der Pflege bessere Arbeitsbedingungen. Vorschläge von Pflegefachpersonen selbst sind etwa 4-Tage-Woche, Freizeitausgleich, Betreuungsangebote für Kinder oder die Einführung eines Gleitzeitmodells. Diese Maßnahmen hinsichtlich der Mitarbeiterbindung im medizinischen Sektor könnten den Pflegenotstand nachhaltig lindern.
Bürokratie abbauen
Aber selbst, wenn man den Pflegeberuf wieder als attraktiver gestaltet, ist man weiter auf Personal aus dem Ausland angewiesen. Nur komplexe bürokratische Prozesse und Regulierungen können den Einstieg in den Beruf erschweren, insbesondere für ausländische Fachkräfte. Hier ist es an der Politik, Komplexität abzubauen und – etwas mittels digitaler Möglichkeiten – für Erleichterung zu sorgen.
Attraktivität des Medizinstudiums und die Herausforderungen des Berufseinstiegs
Die Attraktivität des Medizinstudiums ist nach wie vor ungebrochen. Aber es gibt viel Schwund während des Studiums. Die Gründe dafür müssen demnach im Studium selbst liegen und in den Berufsaussichten, die den Studierenden während des Studiums vermittelt werden. Da gilt es anzusetzen, Dinge zu hinterfragen. Gleichzeitig praktizieren aber viele Absolventen nicht als Ärzte, sondern ergreifen andere Berufe im medizinischen Umfeld. Wie bekommt man diese Menschen in die Praxen? Dies kann beispielsweise durch die Schaffung flexiblerer Arbeitszeitmodelle, eine angemessene Work-Life-Balance und die Reduzierung administrativer Aufgaben erreicht werden. Zudem sollten Anreize geschaffen werden, um Ärzte dazu zu motivieren, in ländlichen Gebieten oder unterversorgten Regionen zu arbeiten und den Ärztemangel dort zu beheben.
Selbst einen Beitrag leisten
Es liegt an der Politik, Maßnahmen zu ergreifen, um die Personalnot Kliniken und den Personalmangel in der Praxis zu entschärfen. Die gute Nachricht: Sie hat die Zeichen der Zeit längst erkannt. Die schlechte Nachricht: Die Umsetzung läuft bestenfalls schleppend, die aktuellen Maßnahmen allein werden nicht reichen. Aber letztlich liegt die Bekämpfung des Pflegekräfte- und Ärztemangels auch in der Verantwortung eines jeden Einzelnen. Denn auch wir werden älter und die allermeisten sind früher oder später auf medizinische Behandlung oder Pflege angewiesen. Wertschätzung und Anerkennung für den Pflegeberuf und medizinisches Personal sollten stärker in den Vordergrund rücken. Denn wenn es am Personal fehlt, können die medizinischen Leistungen entweder gar nicht mehr erbracht werden oder nur noch unter Einbußen der Qualität. Und das könnte früher als gedacht der Fall sein.